Sie bollert, schnaubt, schnüffelt und blubbert. Manchmal, beim Gaswegnehmen, da sprotzelt sie etwas, beinahe verschämt. Nicht dieses synthetische, per Einspritzmapping künstlich erzeugte Angeber-Sprotzeln, nein. Sondern ein ehrliches, bauartbedingtes Vergaser-Sprotzeln. Der Klang der guten alten Zeit. Auf Schallplatte, über den Röhrenverstärker. Nicht Streaming auf Bluetooth-Headset. Allein der Soundtrack einer Yamaha SR 500 reichte aus, einen normalen Tag in einen guten zu verwandeln. Ihr luftgekühlter, vergaser-gefütterter 499er-Einzylinder versteht es nämlich, jeden seiner Arbeitsschritte – Ansaugen, Verdichten, Zünden, Auspuffen – zum audiophilen Happening zu machen. Weich, analog, dabei kristallklar und vollmundig. High Fidelity in vier Takten.
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Yamaha SR 500 im Top-Test
40 Jahre Single und stolz drauf
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Johannes, die SR und der Kickstart ...
Obendrein ist dies auch kein normaler Tag, an dem sich Kollege Schmieders privat gehegte, mit progressiven Gabelfedern, Konis, Stahlflex und Nachrüst-Ölsteigleitung zum Auslassventil sinnvoll modifizierte Yamaha SR 500 2J4 des Baujahres 1981 den langen Dornröschenschlaf aus dem Kurbelgehäuse fahren darf. Es ist der erste richtig warme Tag der Saison. Wir fanden den Zollernalbkreis, wo endlich Gras grünt, Sträucher und Bäume austreiben und wo die Vöglein mit den beiden Ventilen um die Wette zwitschern. Frischen Sprit haben wir ihr zu diesem Anlass spendiert, Super Plus sogar, eine Vergaserreinigung, einen Ölwechsel, neue Michelin vom Typ Pilot Active. Die alten Metzeler ME33 „Laser“ müssen wohl irgendwann unter Helmut Kohl verholzt sein, im Tank schwappte besserer Pinselreiniger. Noch ahnt sie nichts von der Tortur, die ihr am Ende dieser Hommage blüht.
Video vom Top Test der SR 500
Noch tut sie das, was eine Yamaha SR 500 am besten kann: Dampfhämmert sich mit Wohlfühldrehzahl dreitausend-irgendwas die engen Sträßchen der Region empor, läuft sich nach der langen Standzeit gemächlich frei. Zugestanden, die Maßstäbe haben sich gewaltig verschoben. Seinerzeit, vor 40 Jahren, waren 27 PS die mittlere Klasse. Aus heutiger Sicht, wo Anfänger 48 Gäule satteln dürfen und wo die Mittelklasse satt dreistellig drückt, ist aus dem vermeintlichen Dampfhammer (stimmte damals schon nicht) ein Hämmerlein geworden. Aber sie holt das Beste aus ihren offenen 33 PS.
Mit einem Sprühklecks Teflon gedopt
Ein breiter Lenker spannt sich hinter der Disco*kugel von Scheinwerfer hoch und breit über einen Hauch von Motorrad. Über die schmalen, aber mit Eifer grippenden Reifchen gelingen Richtungswechsel mit Leichtigkeit. Spillerig das Stahlrohr-Chassis, wie aus Bambus geschnitzt, aber ehrlich und direkt die Rückmeldung, unmittelbar die Erfahrung von Beschleunigung, Verzögerung, Schräglage, Kompression und Grip. Unerwartet feinfühlig die Gabel (okay, wir haben sie mit einem Sprühklecks Teflon etwas gedopt), und 30 Jahre alte Konis schlagen 40 Jahre alte Originalstoßdämpfer garantiert. Auch die Einzelscheibenbremse animiert – zum beschwingten Rollen-Lassen nämlich. Und so fahrwerkt das Ganze, unterm Strich und ihm Rahmen seiner Möglichkeiten, ja nun … Fluffig. Flüssig. Erdig. Frei von Tiefgang, damit auch frei von Komplexen, mit einer gewissen, einfachen Eleganz. Das und die überaus legere Sitzposition auf der Yamaha SR 500 machen den Tag nicht nur zum akustischen Hochgenuss. Der Helm ist offen, in der Luft liegt Frühlingsblüte, der Duft von Hochoktanigem, Schmierfett und etwas Abgas. Unter Deck hämmert der 87er-Kolben durch seine 84 Millimeter Hub, versetzt ungezähmt von der Ausgleichswelle nicht nur die ganze Maschine, sondern auch die Fantasie des Fahrers in Schwingung. Freut sich spürbar, dass er nach all den Jahren wieder darf.
Auch eine Zeitreise. Klimperten in der Jackentasche keine Euro-Münzen neben dem Smartphone, man könnte sich leicht um ein paar Jahrzehnte in der Zeit versetzt wähnen. Alte Motorräder erzählen Geschichten von früher. Die der Yamaha SR 500 finden im Dunstkreis wunderbarer Klischees statt: Man sieht sie förmlich, die Motorrevision in der WG-Küche, den fusselbärtigen Zweitbesitzer im Strickpulli. Den Drehtabak. „Atomkraft, nein danke!“, Volltanken für fünf Mark und 20 Pfennige. Ob das nun stimmt oder nicht, sei egal, es soll sich aber bitte nie, nie ändern. SR 500-Fahren kickt, einer SR und ihren Geschichten lauschen, gewaltig.
Gewaltige Legenden um den Kickstarter
Gewaltig kicken, da wäre dann auch das unvermeidliche Stichwort. Eine Geschichte, die das Startprozedere von Yamahas Halbliter-Straßeneintopf per pedes ignorierte, sie bräche mit guter Tradition. Im Nachhinein wohl prophetischer Weitblick, auf den damals durchaus üblichen Bequemlichkeits-Knopf zu verzichten.
jkuenstle.de
Das Bild ist natürlich Unsinn: Erst mal angekickt, erreicht die SR eine Höchsgeschwindigkeit von 133 km/h (Herstellerangabe). Da ist mit Hinterherrennen auch nichts mehr.
Um den Kickstarter nämlich sollten sich bald überlebensgroße Mythen ranken, er sollte keinen kleinen Beitrag zur Legendenbildung der Yamaha SR 500 leisten. So ist von den Altvorderen nicht nur überliefert, dass jener Spreu von Weizen trenne, Unwürdige von Ölfingern. Sondern auch vom unvermittelt zurückprügelnden Hebel, von lädierten Beinen und gesprengten Sprunggelenken. Einst soll es eine junge Frau gar bis zum Mond katapultiert haben beim missglückten Tritt-Anlass einer Yamaha SR 500 …
Dabei ist die Sache so kompliziert nun auch wieder nicht: Maschine vom Hauptständer nehmen, Leerlauf einlegen und je nach Umgebungs- und Öltemperatur dann Choke oder Standgasanhebung betätigen. Den unterdruckgesteuerten Benzinhahn darf man ignorieren (hat kein OFF). Sodann den oberen Totpunkt (OT) finden, er macht sich beim Treten in Form von saftiger Kompression bemerkbar. Nun hilft der Dekompressionszug am linken Lenkerende, das Auslassventil auszuhebeln, erlaubt so, den Kolben gefühlvoll hinter OT zu positionieren. Novizen zeigt der „kick indicator“, ein Schauglas am Zylinderkopf, die passende Stellung, echte Kerl/innen haben das natürlich im Fußgelenk. Deko loslassen, Kickstarter nach oben kommen lassen. Innehalten, Konzentration. Gläubige bitten an dieser Stelle Sankt Ignitius, den Schutzheiligen aller Yamaha SR 500-Piloten, um etwas zündenden Beistand. Schließlich hat „ein respektloser Tritt“ zu erfolgen. Gelingt die Prozedur, rrraaatsch, obopopopop, sind einem bewundernde Blicke und Respekt an der Eisdiele gewiss („Ui, ein alter Haudegen!“), vielleicht sogar Damenunterwäsche. Wenn nicht, ratsch, fump, ratsch, fump, argh – trägt natürlich das Material Schuld, ein missmutiger Blick nach unten kommuniziert dies den Umstehenden. Als Ausreden kommen infrage: Vergaser nicht sauber eingestellt, Sprit schal, Jupiter im falschen Aszendenten. Es folgen Mitleid, ein geknicktes Selbstbild sowie höchstens die eigenen, schweißgetränkten Boxershorts beim unvermeidlichen Anschiebeversuch. Der Kickstarter, Hebelarm des Schicksals.
XT 500-Erfolg brachte Yamaha SR 500 hervor
Bedeutender als der Kickstarter ist aber ohnehin der Rest, der an ihm dranhängt. Schon zu ihrer Zeit war die Yamaha SR 500 nämlich etwas wahrlich Besonderes. Ein mutiger Gegenentwurf, wider den Zeitgeist. Etwas Hintergrund: Durch die wilden 70er übertrumpften sich die großen Vier aus Japan gegenseitig mit immer stärkeren, immer komplexeren Maschinen, natürlich mit immer mehr Leistung. DOHC, Vierventiltechnik, der Reihensechszylinder, Fall der 100-PS-Schallmauer, Vollverkleidungen, bald wassergekühlte V4-Motoren, Monoshock, Anti-Dive – die Motorradwelt um und nach dem Marktstart der SR 500 kannte allein eine Gesinnung, nämlich Hightech. Höher, schneller, weiter eben.
Dann das: Ermutigt vom durchschlagenden weltweiten Erfolg der einfachen XT 500 im Jahr 1976 zeigt Yamaha dem Zeitgeist den Vogel, stellt der Enduro zwei Jahre später eine Straßenvariante zur Seite. SR wie „Single Road“, was frei übersetzt schmale Straße bedeutet und den gedachten Einsatzzweck des neuen, schon ab Geburt klassischen Dings unterstreicht. Aus dem Regal kamen XT-Motor und Stahlschleifenrahmen, jeweils mit Blick auf den Straßeneinsatz modifiziert. Dazu Gabel und Anbauteile der XS 650, Soße drüber, fertig. Versicherungsgünstige 27 PS stark, entkorkt 33, mit vollem Tank 173 Kilo leicht. Luftgekühlt, zweiventilig, frei von Ausgleichswelle wie Anlasser. Tropfentank, Stereofederbeine, Speichenräder. Wie antimodern die Yamaha SR 500 damals war, lässt sich auch daran ablesen, dass die so weitverbreiteten Gussräder dann irgendwann nur gegen Aufpreis angeboten wurden. Zeitloser Purismus auf zwei Rädern. Yamaha hatte da einen feinen Riecher für den geheimen Herzenswunsch mancher vom Wettrüsten genervter Motorradfahrer, die ein einfaches Motorrad wollten vom Schlage der ausgestorbenen europäischen Straßeneinzylinder BSA GoldStar, Velocette Venom Thruxton, Moto Guzzi Falcone.
Zeitweise Deutschlands erfolgreichstes Motorrad
Diesen Wunsch hegten offensichtlich viele, denn die Yamaha SR 500 wurde vom Fleck weg ein Hit, zeitweise gar das bestverkaufte Motorrad Deutschlands. 23.000 Stück setzte der Importeur Mitsui in den ersten sechs Jahren ab, bis zum späten Ende 1999 sollten es allein in der Bundesrepublik exakt 38.328 Exemplare werden.
Von denen die eine zum 40. Wiegenfest nun durch das harte Top-Test-Prozedere darf. Eine höhere Ehrerbietung können wir uns nicht vorstellen. Ob die SR das genauso sieht? „Respektiere das Alter!“, raunt sie uns mit ihrer ehrlichen Patina zu, aber es nutzt nichts. Schneller Slalom, langsamer Slalom, Bremsmessung, Fahrleistungen. Und der Rollenprüfstand. Jetzt muss sie da durch.
Prüfstand, Handlingsparcours, Bremsentest
Machen wir es kurz: Die Yamaha SR 500 hat sich wacker geschlagen. Sie rüttelte sich, schüttelte sich, sträubte sich, ein bisschen tat das Ausdrehen beim Zusehen schon weh – drückte dann aber mehr als achtbare 32,2 PS an der Kurbelwelle.
Sie hat den schnellen wie langsamen Slalom zur Freude aller Anwesenden nicht nur schadlos, sondern beinahe gelassen genommen. Nicht wirklich stabil, aber flink, irgendwie handlich, wohl in erster Linie dank der schmalen und wirklich haftfreudigen Bereifung. Sie schrappelte zwar links wie rechts ganz wild, zerspante ihre Rasten (später jedoch, als man denkt), ging hinten irgendwann von Haft- in Gleitreibung über, blieb dabei aber an der breiten Lenkerstange schön kontrollierbar.
Schwerer kam es mit der Bremsmessung. Das fing schon damit an, die nötigen 100 Stundenkilometer bei gegeben kurzem Anlauf auf den Tacho zu bringen. Und noch schwerer tat sie sich damit, diese abzubauen. Hätte man auf den ersten Kennenlern-Kilometern noch meinen können, dass die mit Stahlflex-Leitungen aufgerüstete Yamaha SR 500 nur einen Satz scharfer Beläge von annehmbarer Verzögerung weit weg sei, so macht die wiederholte Gewaltbremsung aus (beinahe) Tempo 100 klar: Dem ist nicht so. Obschon die hintere Trommel fleißig mitblockierte, bog sich die 298er-Scheibe vorne schon beim zweiten Versuch auf wie eine Tellerfeder, touchierte den Einkolben-Schwimmsattel. Und machte damit, im Duett mit einem immer heftiger knacksenden Lenkkopflager (sorry, Thomas) unmissverständlich klar: „Meine Herren, es reicht.“
Also gut, war ja auch nicht so ganz ernst gemeint. Was wir mit alldem eigentlich bloß sagen wollten: Liebe Yamaha SR 500, alles Gute zum Geburtstag! Auf dass du ewig weiterkicken mögest.
MOTORRAD-Fazit
Mehr als nur ein Motorrad. Die Yamaha SR 500 ist rollendes, bollerndes, sprotzelndes Kulturgut. Einfach, schnörkellos, formal elegant, charakterstark. Ein so großer Erfolg, dass sie lange Jahre fester Bestandteil des Straßenbilds war, der „Käfer auf zwei Rädern“. Und kickt und kickt und kickt … Schön, dass sie heute nicht mehr an jeder Straßenecke stehen muss. Ob Thomas seine wohl hergeben wird?
Modellhistorie
Als stimmiger Erstentwurf brauchte die Yamaha SR 500 in ihrer langen Bauzeit nur behutsame Modellpflege. Ein Überblick.
1978: Verkaufsstart des Urmodells Typ 2J4; 27 oder offen 33 PS
1979: Gussräder gegen Aufpreis von 150 Mark lieferbar, größerer Scheinwerfer
1980: dickere untere Kühlrippen zur Versteifung des Zylinders, verstärkter Kickstarterfreilauf
1984: Gründliche Überarbeitung, von nun an als Typ 48 T; 27 bzw. offen 34 PS, 18- statt 19-Zoll-Vorderrad, Ölsteigleitung zum Auslassventil ab Werk, leichterer Kolben, schmalerer Lenker, zahlreiche weitere Modifikationen
1987: Tankvolumen auf 14 Liter erhöht
1988: Gegen Aufpreis wahlweise Duplex-Trommel vorne
1991 : Leistungsreduzierung auf 23 PS (Verdichtung 8,3 zu 1, Änderungen an Kolben und Nockenwelle) aufgrund strengerer Abgas- und Geräuschbestimmungen, Entdrosselung per Gutachten auf 27 PS möglich
1992: Nur noch mit Trommelbremse erhältlich
1993: Seitenständer mit Zündungsunterbrecherschalter
1998: Limitiertes Anniversary-Modell
1999 : Abverkauf der letzten Exemplare
Die Konkurrenz
Archiv
Honda FT 500 (l.) und Suzuki GN 400 (r.).
Honda FT 500
Einzylinder-Motor, 27 PS, Gewicht 175 kg, Vmax 145 km/h, 5448 Mark (1982).
Suzuki GN 400
Einzylinder-Motor, 27 PS, Gewicht 155 kg, Vmax 140 km/h, 4652 Mark (1982).
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